Queer auf Social Media – Im Interview mit Tommy Toalingling
Tommy Toalingling ist queerer YouTuber, Autor und Aktivist – Er setzt sich insbesondere für LGBTQIA* – Jugendliche ein und möchte die Person sein, die er als 15 – jähriger gebraucht hätte.
Von Lu Wirth
Als Gast beim #JMF24 hat Tommy einen Input zur queeren Realität auf Social Media gegeben. Der Kernpunkt: Marginalisierte Gruppen, wie beispielsweise queere Menschen, werden von den Plattformen und ihren Algorithmen häufig benachteiligt. So schränkt beispielsweise TikTok die Reichweite durch Shadow-Bans ein und diverse Inhalte werden seltener für Werbekooperationen herangezogen. Unter anderem deshalb hat Toalingling das Buch „Mein erster Schwultag“ geschrieben, um queere Menschen auch außerhalb der Sozialen Medien zu erreichen. Zusätzlich hat er einige Tipps im Gepäck, für Menschen, die online,möglicherweise aufgrund queerer Inhalte, Hass im Netz erfahren. Das Wichtigste, wenn Hate auftaucht: Blocken – Melden – Ignorieren. Außerdem rät er jungen Menschen mit Diskriminierungserfahrungen, sich Unterstützung zu suchen. Schließlich ist man als queerer Mensch nicht allein und es kann sehr hilfreich sein, sich an queere Netzwerke zu wenden oder sich online mit Gleichgesinnten zu empowern.
Doch wie schafft man es, als queere Person auf Social Media präsent zu sein und Menschen zu erreichen, wenn Diskriminierung online ebenso präsent ist und der Gegenwind zunimmt, sobald Content die eigene Filterblase verlässt?
Zu dieser und weiteren Fragen hat Tommy mir im Interview Rede und Antwort gestanden.
Hey Tommy!
Du bist schon sehr lang mit queeren Themen auf Social Media aktiv. Ganz allgemein gefragt, was braucht es für Dich, damit queere Menschen auf Social Media den Raum bekommen, der ihnen zusteht?
Als allererstes würde ich total die Plattformen in die Verpflichtung nehmen. Ich finde, wenn es um Fake News geht, dass es dafür Regeln und Gesetze geben muss, die das irgendwie regulieren. Wenn wir in Europa, beziehungsweise in Deutschland, Plattformen zur Nutzung anbieten und zugänglich machen, müssen Richtlinien dafür sorgen, dass es da Shadow-Bans und solche Geschichten einfach nicht geben darf. Das ist Zensur und wir stehen ja eigentlich für offene Rede und Meinungsfreiheit. Wenn solche Plattformen das einschränken, dann ist das natürlich sehr, sehr gefährlich.
Mit Deiner Reichweite kannst Du Menschen helfen. Verlassen Videos die eigene Bubble, sieht man sich aber schneller mit Hasskommentaren konfrontiert. Wie schafft man da den Spagat, zwischen positiver Reichweite und dem Risiko von Hate?
In meinem Feld ist die gewisse Mischung aus Aufklärungsarbeit in der eigenen Community und außerhalb der eigenen Reihen sehr wichtig. Ich halte da für mich die Balance, dass ich nicht zu viel Aufklärung außerhalb meiner Bubbles mache, eben weil da auch oftmals was Negatives zurückkommt. Man möchte natürlich seine eigenen Kräfte schonen und vor allem auch für seine seelische Gesundheit sorgen, dass es da nicht zu viel Gegenwind gibt. Aber genau da, bei solchen Leuten, die keine Berührungspunkte haben, muss ja Aufklärung stattfinden. Das heißt, ich will es nicht ganz wegstreichen, aber versuche so ein bisschen diese Balance zu halten, dass es mir trotzdem nach wie vor noch gut damit geht. Ganz wegstreichen will ich es nicht, denn dafür ist es mir zu wichtig, dass ich diese Aufklärungsarbeit mache.
Es kann aber auch sehr schön sein, seine eigene Nische zu bedienen. Vielleicht ist dann das Empowerment der eigenen Community der bessere Weg?
Wenn man die eigene Community auf seiner Seite hat und generell dort Aufklärungsarbeit macht, muss man versuchen, die Leute zu empowern, die Message aufzunehmen und außerhalb der Bubble mitaufzuklären. Jede Person die der queeren Community angehört, die ich erreiche und dazu befähigen kann, das außerhalb der Bubble weiterzutragen, ist dann ein:e Multiplikator:in. Desto mehr Leute klären auf und desto mehr sind wir sichtbar. Ich glaube das ist total wichtig, egal was für ein Thema rund um Diversität das ist, sobald man Leute angesteckt hat, können sie es auf jeden Fall weitertragen und auch mal sagen: „Entschuldigung das war aber jetzt gerade nicht besonders queer-freundlich, was Du da gesagt hast.“
Bei großen Veranstaltungen wird immer wieder angemerkt, dass es bezeichnend ist, dass die Diversität höchstens als Aushängeschild hinter der Bühne stattfindet, nicht aber auf der Bühne. Zum Beispiel kürzlich bei den 9:16 – Awards. Wie siehst Du das aus Deiner queeren Perspektive?
Ich glaube tatsächlich, dass man mich entweder eingeladen hat, weil ich schwul bin oder weil ich aus Hamburg bin – Nicht wegen meiner Reichweite, da waren deutlich reichweitenstärkere Influenzer:innen eingeladen. Mir ist es auch aufgefallen, dass es nicht sonderlich divers war. Die einzige Person, die auf der Bühne etwas zum Thema Hate Speech sagen wollte, war twenty4tim und der wurde dann von der Musik unterbrochen, weil seine Rede „zu lang“ war. Das war sehr schade. Der Moderator Steven Gätjen hat dann extra gesagt: „Nein, Du wolltest noch etwas sagen, sprich bitte aus.“ und das fand ich ganz stark, denn ansonsten war es nur ein gegenseitiges Loben und sehr wenig Kritik. Ich bin gerne für Kritik da und hätte gerne auch Worte auf der Bühne gesagt. Aber das war nicht mein Job. Ich war nur als Gast eingeladen. Im Nachhinein war es aber eine Veranstaltung, die nicht divers genug war. Das Event war auf jeden Fall mehr für Marken und Brands da, um sich gegenseitig toll zu finden, als dass es wirklich etwas bewirken wollte.
Hast Du denn das Gefühl, öffentlich oft auf das Queer-Sein reduziert zu werden?
Ich würde sagen, als queerer Creator passiert das sehr, sehr oft, dass ich nur eingeladen werde, weil ich schwul bin. Das ist vollkommen fine für mich, ich weiß ja, was für eine Arbeit ich da mache. Würde ich jetzt nur Schauspiel-Videos machen und dann so eingeladen werden, dann fände ich das ein bisschen too much. Man könnte dann anfragen, ob ich vielleicht bereit wäre, für ein Interview über das Thema, aber nicht nur explizit dafür. Dadurch, dass ich homosexuelle Aufklärung mache, beziehungsweise generell queere Aufklärung, ist es jedoch vollkommen fine, auf diesen kleinen Teil reduziert zu werden. Leute, die mich ein bisschen besser kennen, wissen ja auch, was ich noch zusätzlich mache, dass ich mehr bin als nur schwul.
Was kann man aus Deiner Sicht als Social Media Konsument:in beitragen, um zum Beispiel queere Creator:innen zu unterstützen? Gegenrede bei problematischen Inhalten kann eben durch den Algorithmus schnell mal genau dieser Inhalte stärker pushen…
Der beste Tipp, um die Community zu unterstützen ist, auf jeden Fall, dass man sich den Content anschaut, dass man eine positive Bewertung, beziehungsweise positive Kommentare dalässt. Selbst wenn man es nur für den Algorithmus macht und sagt: „Hey, das war ein wahnsinnig tolles Video – Danke, dass Du das gemacht hast.“, reicht das schon total aus, um ein Video mehr zu pushen. Klar, mit Counter Speech, ist es so eine Sache, je mehr man es befeuert, desto mehr haben zum Beispiel rechte Sichtweisen eine Bühne, wenn das aber ein Kommentar ist und hundert Kommentare gehen dagegen, dann sind das hundert Kommentare, die wahnsinnig gut, wahnsinnig positiv und sehr sinnvoll sind. Da muss man immer abwägen, wie man das am besten hinbekommt und organisiert.
Um Dir hier auch nochmal den Raum für Deine Themen zu geben, welche Frage möchtest Du unbedingt noch gestellt bekommen oder was möchtest Du noch loswerden?
Egal was für ein Interview das ist, werde ich meist sehr wenig über meine Motivation gefragt. Heute wurde ich das tatsächlich schon gefragt – Sonst heißt es meistens nur: „Ah, Du machst, das, das und das…“ aber es geht weniger darum, woher die eigene Motivation dazu kommt, das auch noch weiter aufrecht zu halten. Ich bin jetzt nicht mehr 15 und ich selbst möchte auch keine Kinder. Was schert es mich? Warum setzte ich mich dennoch für queere Jugendliche ein? Da würde ich gerne viel mehr drüber reden, das mache ich auch in meinen eigenen Videos und in meinem Podcast, aber wenig auf Interviewbühnen. Deswegen würde ich Deine Frage kurz einmal nutzen, um zu sagen, dass die größte Motivation für mich einfach ist, dass ich im Hier und Jetzt lebe. Ich möchte, dass es ein schönes Hier und Jetzt ist. Und wenn ich in die Zukunft schaue, weiß ich, dass da ja auch eine queere Community sein wird. Es wird wieder mehr dagegen angegangen. Das sehe ich eben jetzt, wie der Gegenwind gerade aufwächst und das möchte ich verhindern. Damit es eine schöne Welt ist, die ich jetzt gerade erlebe und die ich dann hinterlasse, wenn ich mal nicht mehr da bin.
Danke für das Schlusswort und das Interview, Tommy!