Jugendmedienfestival Blog

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„Ich argumentiere nicht auf Twitter“ – Was wir von einem alten, weißen Mann noch lernen können

von: Luisa Böldt, 15. Mai 2021

Ich war mein ganzes bisheriges Leben lang jung. Deswegen kann ich nur ahnen, wie befremdlich manches auf Menschen älterer Generationen wirken muss, was wir – die Jungen – so tun. Mir geht es  oft selbst nicht anders. Manche Absurdität ist für uns schon längst Normalität geworden, Twitter zum Beispiel. Wäre Twitter ein Raum (zugegebenermaßen ein ziemlich großer Raum), säßen wir, die uns einen Account erstellt haben, alle beieinander und würden teils zusammenhanglose Sätze in die Menge werfen. Da alle gleichzeitig reden, bemühen wir uns um knappe Prägnanz, die möglichst viel Aufmerksamkeit mit wenig Worten erregt. Pro Tweet verschwenden wir dabei am besten nicht mehr als zwanzig Sekunden, denn sonst hat vielleicht schon ein anderer User dasselbe formuliert und man selbst verschwimmt in der Belanglosigkeit der durcheinandermurmelnden Masse. In diesem nie abreißenden Gespräch haben wir es gelernt, auf bestimmte Signalwörter besonders empfindlich  zu reagieren und das am liebsten mit Empörung. Auf einer Plattform wie Twitter, die mit Sprache und ihrer Verknappung arbeitet, sind wir für nichts so sensibel wie einzelne Worte und Formulierungen, hinter denen der eigentliche Inhalt, der Kontext, sogar die verfassende Person selbst oft völlig zurücktritt. Die nicht selten gnadenlose Reaktion auf sprachliche „Fehltritte“ hat Martin Sonneborn vor nicht allzu langer Zeit am eigenen Leib erlebt. Anfang des Jahres postete er das Bild eines T-Shirts, dessen Aufdruck ihm eine Welle der Empörung einbrachte und schließlich dazu führte, dass er sich öffentlich entschuldigte. Der Aufdruck spielte mit dem Klischee, Asiaten könnten das „R“ nur als „L“ aussprechen. In Zeiten, in denen Asiaten vermehrt mit Rassismus zu kämpfen haben, da das Corona-Virus von China aus in die Welt getragen wurde, schien vielen Twitter-Usern der Aufdruck des T-Shirts geschmacklos, er reproduziere sogar rassistische Stereotype.

Fragt man Martin Sonneborn heute danach, wie er die Situation bewerte, reagiert er gelassen. Im Interview mit jungen Medieninteressierten im Rahmen des Jugendmedienfestivals 2021 erzählt er, wie er sich die teils heftigen Reaktionen von damals erklärt.  Der Witz sei einfach handwerklich nicht gut gemacht gewesen und auf ein Publikum getroffen, dem wichtige Hintergrundinformationen nicht so geläufig gewesen wären und das deswegen die Pointe nicht verstehen hätte können. Das T-Shirt richtete sich laut Sonneborn gegen Donald Trumps chinafeindlichen Aussagen, der selbst zu denen gehörte, die China als Ursache allen Corona-Übels sahen – und gleichzeitig sein Merchandise dort produzieren ließ. Ein Sachverhalt, der der Twitter-Community wohl nicht so bewusst war. Sonneborn sah sich einem immer lauter werdenden Mob gegenüber, ein Phänomen, das nicht selten ist in sozialen Medien. „Dort ist viel Hass.“, bemerkt Sonneborn. „Es werden keine Diskussionen geführt, weil es immer sofort eskaliert.“ Ein beschuldigender Tweet schien zehn neue zu produzieren, ein kleiner Sturm fegte durch den Twitter-Raum.

Das alles geht oft so schnell, dass man sich bald einer Kettenreaktion gegenüber sieht, die man nur hilflos verfolgen aber kaum noch aufhalten kann. Selbst eine Entschuldigung wird dann nicht mehr ernst genommen, sondern nur als Einknicken verstanden. Hat man die Gunst der Community einmal verspielt, kann man es ihr nicht mehr Recht machen.

Foto: Samuel Groesch

Aber Sonneborn scheint nicht sehr traumatisiert, wenn er heute darüber spricht. „Auf Twitter sind dann eben auch die Siebzehnjährigen, die zum ersten Mal mit Satire konfrontiert werden.“ Wenn man wie er schon so lange einen Stammplatz im Twitter-Saal hat, wirft einen so ein kleiner Shitstorm nicht aus der Bahn. Schließlich sehe er hier auch die Möglichkeit, eine Plattform für Dinge zu schaffen, die sonst keinen Weg in die Öffentlichkeit fänden. Eine Art Ausgleich für die einseitige Berichterstattung der Medien, die Sonneborn dafür kritisiert. Der EU-Parlamentarier von „Die Partei“ nutzt seinen Account beispielsweise, um auf die Konflikte zwischen Bergkarabach und Aserbaidschan aufmerksam zu machen, über die aus seiner Sicht unzureichend bis gar nicht berichtet würde. Aber Twitter ist anscheinend auch so etwas wie Detoxing für ihn, wenn er sich mit einem Tweet „den Ärger von der Seele schreiben“ könne.

Es scheint, als kämen die sozialen Medien nicht aus ohne diese Spur von Aggressivität, mit der eine unübersichtliche Anzahl von verschiedensten Meinungen in die Welt getragen wird. Neulinge können gar nicht anders, als überfordert zu erstarren angesichts der Fülle an Eindrücken, die nach ihrer Aufmerksamkeit verlangen, sobald sie die Tür zu dieser Welt öffnen. Es täte dann gut, ein wenig Zeit zu haben, darüber nachzudenken, worauf und wie man antwortet. Doch erfahrene User lachen nur, während sie hastig auf „Posten“ drücken, denn schon wieder ist etwas geschehen, das von ihnen kommentiert werden muss. „Reflexhafte Reaktion“ nennt Sonneborn das und es steht dem entgegen, was er selbst gern tut, bevor er ein Statement abgibt. Sich einmal eine Viertelstunde nehmen, um die Sache „in Ruhe zu analysieren“. Klingt spießig, ist aber vielleicht genau das, was wir alle viel öfter tun sollten.

Wie viele Tweets wurden nach fünfzehn Minuten schon bereut, wie oft hätte man dann doch lieber eine andere Formulierung gewählt – oder am besten gar nicht erst etwas gesagt? Am Ende scheint der eigene Beitrag dann doch irgendwie irrelevant, das ganze Thema auch eher belanglos. Im besten Fall versickert der Beitrag sofort im Bodensatz der zahllosen Tweets, die noch in derselben Sekunde veröffentlicht wurden. Im schlechtesten Fall löst er so eine große Resonanz aus, dass er nun unverhältnismäßig viel Platz in der öffentlichen Diskussionslandschaft einnimmt. Dabei war er doch nur als Witz gemeint. Kein Wunder, wenn sich der oder die ein oder andere fragt, ob unsere Generation eigentlich noch die richtigen Prioritäten setzt, wenn ein T-Shirt unser größtes Problem zu sein scheint. Wir haben vielleicht einfach verlernt, gelassen zu bleiben und uns nicht ständig angesprochen zu fühlen. Vor allem nehmen wir uns und andere manchmal ein wenig zu ernst. Denn sind wir mal ehrlich, eine fundierte Diskussion lässt sich nicht führen, indem man mit 250 Zeichen langen Parolen um sich wirft. „Ich argumentiere nicht auf Twitter.“, stellt Sonneborn deswegen auch nüchtern fest. Argumente sind hier wohl verschwendete Mühe. Er weiß allerdings, wie man den teils absurden Geschehnissen unserer Zeit anders gegenübertreten kann. „Wenn man merkt, dass man in einer zunehmend irrer werdenden Welt lebt, ist es gut, einen Witz machen zu können.“ Vielleicht ist das aber auch ein zu hoher Anspruch an Deutschland, schließlich sind wir nicht unbedingt als Humor-Nation bekannt. Dafür finden wir es viel zu schön, sich einfach mal richtig aufregen zu können.