Kaum sehen können…und kaum gesehen werden?
Elva Behl (Redakteurin) im Interview mit Mr. Blindlife. Foto: Marie Reinmöller
Edin Ciplak möchte Menschen mit Sehbehinderung Mut machen. Der 37-jährige Hamburger gilt mit seiner Sehstärke von 2% als gesetzlich blind. Auf der Plattform TikTok nimmt er als Mr.Blindlife seine 56.000 Follower*innen durch seinen Alltag als Sehbehinderter mit. Er klärt in seinen TikTok Videos auf eine humorvolle Art und Weise über Vorurteile auf.
Zum Beispiel zeigt Ciplak, wie er sich anhand von Leitstreifen und Navigations-Apps von A nach B bewegt. Dabei muss er, beispiels-weise an Bahnhöfen, oft: „Leitstreifen frei halten“ rufen, damit ihm, im besten Fall, Platz gemacht wird. Das Bewusstsein für Menschen mit Behinderung scheint also bei vielen kaum oder gar nicht vorhanden zu sein. Der Leitstreifen stellt für das Zurechtfinden und für die Fortbewegung von sehbehinderten Menschen ein essenz-ielles Tool dar. Für Menschen ohne Behinderung scheint er gar unsichtbar.
Ein Faktor, welcher zu diesem Unbewusstsein führt ist, dass able-bodied people, also Menschen ohne Behinderung, zwar die Möglichkeit haben, sich über Behinderungen zu informieren, aber nicht gezwungen sind, dies zu tun. Auch die Aufklärung in Schulen und Unis hält sich in Grenzen. Viele Lehrkräfte haben bisher nur Schüler*innen ohne Behinderung unterrichtet. Für bestimmte Praktiken und Fähigkeiten brauchen Lehrkräfte Fortbildungen, allerdings fühlen sich viele mit diesem Thema noch sehr überfordert, wie die Bundeszentrale für politische Bildung berichtet.
Doch nicht nur in den Bildungsinstituten scheint Überforderung zu herrschen. Auch in den oberen Rängen der Politik regiert Zurück-haltung. Menschen, die von Barriere-Beschränkungen betroffen sind, wissen offenkundig am besten, wo mehr Barrierefreiheit an den Tag muss. Nur sitzen sie eben meist nicht in den besagten Rängen der Politik. „Das Interesse der Politik liegt woanders.“ sagt Edin Ciplak zu dem Thema. Ein passendes Beispiel ist der Leitstreifen. Japan ist mit einem für sehbehinderte gut sichtbaren gelben Leitstreifen anderen Ländern weit voraus. Denn in Deutschland markieren vergleichsweise schlecht sichtbare graue und weiße Leitstreifen den Boden. So entsteht ein Teufelskreis, denn able-bodied people versuchen, barrierefreie Systeme zu kreieren, die aber oft nicht mit den Bedürfnissen behinderter Menschen übereinstimmen, da sie nicht die gleichen Erfahrungen mit Barrieren haben. Um gegen die Missstände in der Politik anzugehen, nutzt Erdin Ciplak seinen TikTok Kanal und appelliert: „Wir müssen den sehenden Menschen die Augen öffnen.“
Ein Artikel von Elva Behl