Die freischaffenden Journalistin Erika Harzer zu den Themen Migration, Flucht und Menschenrechte im Interview mit dem JMF Newsroom Team.
Meret Busch & Fiona Fürstenberg
Erinnerst du dich noch an dein erstes Mal in Mittel- bzw. Südamerika? Was waren deine ersten Eindrücke und wie hat sich deine Sichtweise auf die Region verändert?
Mein allererster Besuch in Lateinamerika war 1980 in Mexiko. Da war ich touristisch unterwegs und ich fand es unglaublich beeindruckend, die Vielfalt dort zu erleben. Ich glaube, ich habe mich da ein bisschen in dieses ganz andere Leben verliebt. Was in diesem Land tatsächlich stattfindet, wie die Menschen leben, konnte ich da noch nicht so richtig einordnen, weil mir einfach die Sprache gefehlt hat. Ich fand es nur exotisch, ich fand es irgendwie schön, aber habe dann nach und nach begriffen, was eigentlich die ganzen Probleme sind. Probleme, die bis heute nach wie vor vorhanden sind. Die Armut, die ständige Migration. Mexiko ist ein Land mit einer sehr starken internen Migration. Es hat mich sehr inspiriert, immer wieder in diese Region zu fahren und mitzukriegen, wie die Menschen dort leben und versuchen ihre Lebenssituation zu verändern.
Fällt es dir manchmal schwer die Wertschätzung für die Region mit den vielen Problematiken von denen du weißt, zu vereinen?
Es ist wirklich sehr schwer, weil mein letzter Lebensort Honduras war. Um die Jahrtausendwende lebte ich dort fünf Jahre lang. Es ist ein Land, das extrem von Gewalt zersetzt ist. Als ich dort gelebt habe, war das noch einigermaßen überschaubar. Sich auf den Straßen zu bewegen war noch einigermaßen ungefährlich. Das hat sich dann ziemlich verändert. Ich spüre, dass es mich sehr anfasst, mitzukriegen, was Korruption, dieser Drogenkorridor mit so einem kleinen Land machen. Wie die Menschen darunter leiden, aber auch, wie viele engagierte Menschen sich dagegen wehren. Es gibt dort einfach auch fantastische Menschen. Ich denke, ich habe da viele Freundinnen und Freunde kennengelernt und bin deswegen immer wieder gerne dort.
Könntest du uns von einem Schlüsselmoment bzw. einer extrem wichtigen Person erzählen?
In Honduras gab es einen Schlüsselmoment, den ich ganz, ganz dramatisch erlebt habe. Das war 2016, als dort die Umweltaktivistin, Menschenrechtsaktivistin und Feministin Berta Casares von Auftragskillern umgebracht wurde. Ich hatte Berta oft vorher getroffen, als ich noch in Honduras gelebt habe und 2013 bei ihrer Arbeit begleitet. Sie hatte das Jahr vorher in den USA den Goldman-Preis erhalten, der im Bereich Umwelt den Stellenwert wie der Oscar hat. Sie war wirklich eine exponierte Person und hat gedacht, sie sei dadurch sicher. Sie ist nachts in ihrem Haus überfallen und umgebracht worden. Das hat mich sehr berührt und schockiert. Ihre Familie hat sich sehr engagiert und was sie ermittelt haben, habe ich versucht mit in unsere Welt zu bringen.
„Wer, wenn nicht die Kinder und Jugendlichen, können ein soziales Leben fortführen?“
Im Jahr 2016 haben Sie für Ihr Feature „Der mittelamerikanische Exodus: Wenn Kinder nur noch weg wollen“ den Peter-Scholl-Latoure Preis erhalten. Wie sehen Sie die Zukunft der Region, wenn gerade die nächste Generation diese verlassen will?
Düster, ganz düster. Wer, wenn nicht die Kinder und Jugendlichen, können ein soziales Leben fortführen? Ich kann das total verstehen, dass Menschen, die die Möglichkeit haben, zu fliehen, auch fliehen. Wenn du in einem Ort groß wirst und dort klar vor Augen hast, entweder du schließt dich jetzt der Bande an, die killt, oder du wirst gekillt, dann hast du eigentlich keine Überlebenschance.
Ich hatte da einen dreizehnjährigen Jungen vor dem Mikrofon, den ich in Mexiko in einer Flüchtlingsherberge getroffen habe. Er hat mitgekriegt wie Bandenmitglieder kamen und gesagt haben, wenn seine Familie innerhalb der nächsten 24 Stunden nicht das Schutzgeld aufbringt, dann werden sie vertrieben und umgebracht. Er hat Panik gekriegt und gedacht, er könne seiner Familie nur helfen, wenn er in die USA flieht, um dort Geld zu verdienen. Er hatte keine Ahnung wie weit es überhaupt von seinem Heimatort bis zu den USA ist, und dass er dafür noch Guatemala und Mexiko durchqueren muss. Er ist am frühen Morgen ohne Eltern, ohne Brüder, ohne irgendjemandem was zu sagen, losgezogen, mit umgerechnet zehn Euro in der Tasche. Er hat es bis Mexiko in diese Herberge geschafft, wo sich die Leute um ihn gekümmert haben. Da merke ich, wie wichtig diese Arbeit ist, diesen verzweifelten Menschen auf der Strecke ein Obdach zu bieten. Überall sind Banden, die die Migranten entführen und von deren Verwandten in den USA Kaution zur Freilassung fordern. Immer wieder sind dann Leichen gefunden worden von Menschen, die das nicht zahlen konnten.
Es ist die Hölle, dieser Transit. Wenn ich höre, dass die Grenzen auch bei uns dicht gemacht werden sollen, ohne auch nur einmal zu fragen, warum gehen die Menschen eigentlich weg, dann tut mir das sehr weh. Wer geht denn freiwillig von zu Hause weg? Wer geht ins Nichts, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, was dieses Nichts ihm bringt? Es müssten noch viel mehr solche Geschichten erzählt werden.
„Fremd bleibt jemand dann, wenn sich keine Türen für ihn öffnen“
Was hast du gelernt im Rahmen deiner Arbeit zu Flucht und Vertreibung über das Fremdsein und über das Ankommen in der Fremde, auch mit Blick auf deine eigene Auslandszeit?
Ich bewege mich eigentlich ständig als Fremde in Fremdem und kann allem Fremden immer das eine oder andere Positive abgewinnen. Ich kann für mich nur sagen, fremd bleibt jemand dann, wenn sich keine Türen für ihn öffnen. Als ich als Fremde nach Nicaragua ging, haben sich ganz viele Türen für mich geöffnet. Dadurch konnte ich Freundschaften schließen und zumindest ein Stück weit auch dieses andere Leben begreifen. Es war auf vielen Ebenen trotzdem noch unterschiedlich. Ich wurde nicht zur Nicaraguanerin, ich wurde auch nicht zur Honduranerin, aber ich habe immer offene Türen erlebt. Ich würde mir in unserer Gesellschaft viel mehr wünschen, dass wir mehr Türen öffnen und überhaupt erst mal den Menschen, die zu uns flüchten diese Chance geben, zu zeigen, wer sie eigentlich sind.
Rhetorik kann ja Türen öffnen und schließen. Wie blickst du gerade auf den medialen Diskurs in der Berichterstattung über Migration und soziale Themen, wenn immer mehr rechte Rhetorik benutzt wird, wie „Remigration“?
Ich finde es unmenschlich. Es ist eine menschenverachtende Rhetorik. Was würde denn in Krankenhäusern noch funktionieren, wenn die ganzen Menschen mit Migrationshintergrund nicht mehr da wären? Es ist so weltfremd, sich heute hinzustellen und zu sagen, hier sollen nur noch deutsche Menschen leben. Wer sind denn diese deutschen Menschen? Es ist wichtig, dass so viele Fremde zu uns gekommen sind und unser Leben mit ihrem Können, ihren Fähigkeiten, ihren Lebensphilosophien beeinflusst haben.
Wie schafft man es als Journalist*in seinen Werten treu zu bleiben und nicht dem sogenannten „Zeitgeist“ zu verfallen, wenn dieser von Schnelllebigkeit und Verrohrung geprägt ist?
Ich arbeite gerade genau an so einem Stück, in dem es wesentlich um Menschenwürde und Menschenrechte geht. Das ist die eine Ebene. Das versuche ich immer wieder durch Texte, die keine Mainstream-Redaktionen annehmen. Vor Kurzem habe ich zu dem Thema Fremdsein einen Artikel geschrieben, weil mir das schon sehr wichtig ist. Und da ist mir ziemlich egal, ob ich ein Honorar kriege oder nicht. Da geht es mir um meine Haltung. Das trenne ich dann von der journalistischen Arbeit.
Mit Blick auf die aktuelle Migrationspolitik der USA und den Deportationen nach El Salvador, wie bewertest du die Situation?
Diese Bilder von El Salvador und von dem Knast, wenn die Häftlinge halbnackt auf dem Boden ohne auch nur einen minimalen Raum zwischen sich, hingesetzt werden, ist das ein Verstoß gegen alle humanistischen Gedanken und Regeln. Jetzt zu sagen, wir haben noch irgendwo einen Kriegsparagraphen gefunden, der uns erlaubt, sie zu deportieren, ist wirklich unfassbar. Da müsste sich die ganze Welt dagegen stellen. Aber es ist so viel gerade unfassbar, das kann man ja gar nicht mehr aufzählen. Ich denke manchmal, es würde uns allen gut tun, viel weniger neue Statements und Schlagzeilen von Trump zu lesen, um einfach wieder in einen Besinnungsmodus zu kommen. Was wollen wir eigentlich? Wie stellen wir uns auf, um nicht nur dem hinterherzurennen, was jetzt gerade in USA täglich, stündlich fabriziert wird? Stattdessen sollten wir uns auf unsere Haltung besinnen und die auch zum Ausdruck bringen.
Es war uns eine Freude, dich zu interviewen. Vielen Dank!